In T-Shirt und Shorts im ehemaligen Bundestag, Code Sprints im Retro-Wohnwagencamp, eine Schifffahrt auf dem Rhein und zahllose Möglichkeiten der Begegnung: Die FOSS4G 2016 lockte 900 Programmierer und User, Entscheider und Interessierte nach Bonn. Um Spaß zu haben und Brücken zu bauen.
Von Klaus Torsy
Der Kongress ist die beste Gelegenheit, zahllose Insider zu treffen, herausragende Software-Produkte vorzustellen und neue Ideen zu ermutigen. Im Laufe von zehn Jahren FOSS4G ist aus einem Treffpunkt für wenige hundert Spezialisten eine regelrechte Bewegung erwachsen, entsprechend der immer vielfältigeren Einsatzmöglichkeiten von OS Geodaten-Software.
Dabei handelt es sich um weitaus mehr als einen Spaß-Event. Open Source ist heute eine Bewegung mit vielen spannenden Entwicklungen. OS Geodaten-Software bietet Lösungen und Alternativen zur Bewältigung zahlreicher Herausforderungen, etwa in der Stadtplanung, Ernährungssicherheit, bei Wasser und Energie oder rund um den Klimawandel. Dementsprechend wächst das Interesse bei kommerziellen Unternehmen ebenso wie in Hochschulen, Forschungseinrichtungen und öffentlichen Verwaltungen.
Nicht ohne Grund fiel die Wahl auf Bonn als diesjährigen Austragungsort. In den vergangenen beiden Jahrzehnten hat sich die Region Bonn-Köln zu einem wahren Hotspot unabhängiger GIS-Unternehmen entwickelt. Mit T-Systems, der Deutschen Post DHL oder den UN ist Bonn zudem Standort namhafter Global Player, die Aufträge an Unternehmen der GIS-Szene vergeben.
Diese Entwicklung weiß auch die Stadt Bonn zu schätzen, welcher der Kongress nebenbei einige tausend Übernachtungen einbringt. Mit Ulrich Ziegenhagen sitzt ein Geo-Enthusiast in der städtischen Wirtschaftsförderung. Er sorgt im Vorfeld für Kontakte zu Verwaltung und Institutionen. Und er organisiert den Bürgermeister-Empfang im Alten Rathaus, sichtbarer Ausdruck städtischer Wertschätzung.
Dass sich die Branche im Aufwind befindet, spiegelt sich auch im Kongress-Motto „Building Bridges“. Vordergründig eine Handlungsanleitung für die Teilnehmer, weist es darüber hinaus der Branche den Weg in eine erfolgreiche Zukunft: Brücken zu bauen – weltweit zu allen, die FOSS4G Software nutzen, zu anderen Open-Source-Bewegungen wie Open Data, zu Profis wie zu Neulingen, zu Studierenden und Professoren, Wirtschaft und Non-Profit-Organisationen.
Ort und Organisation der FOSS4G in Bonn bringen die Teilnehmer sofort mit Begeisterung zusammen. Und die lassen sich nicht lange bitten. Schnell entwickelt sich eine geradezu überschäumende Atmosphäre des gegenseitigen Austausches: über erfolgreiche OSGeo-Werkzeuge, die neuesten Entwicklungen und Trends. Jeder hört jedem zu und steckt andere mit seinen Ideen an. Ein Kongress von der Community für die Community.
Herzstück ist die Konferenz von Mittwoch bis Freitag. Die Teilnehmer haben vorab am Programm mitgestrickt. Zu den einzelnen Themen gibt es Key Notes von bemerkenswert hoher Qualität. Von 289 Themenvorschlägen schaffen es 180 auf die Agenda. Das konzentrierte Format von 20 Minuten Vortrag plus 5 Minuten für Fragen und Antworten garantiert Konzentration und Qualität.
Auch das Niveau der über 40 Workshops ist atemberaubend. Jeweils einen halben Tag lang führen hier erfahrene Spezialisten praxisorientiert in die Welt von Open Source GIS ein oder demonstrieren Werkzeuge und Anwendungen mit Zukunftspotenzial. Wissensvermittlung pur und aus erster Hand.
Ein neues Format sind die Topic Talks zu speziellen Themen. Geschlossene Veranstaltungen, auf 90 Minuten begrenzt, bieten auch sie Gelegenheit, konzentriert neue Ideen darzustellen und gemeinsam weiterzudenken. Vorab wurden vier Key Topics definiert – Open Data, Erdbeobachtung, Katasterauskunft, Katastrophen-Management –, um den Austausch mit benachbarten Communitys zu befeuern. Über den entwicklungs-technischen Tellerrand hinaus, der üblicherweise die FOSS4Gs beherrscht. Mit dabei sind Copernicus, The European Space Agency und die Munich Re. Neben den Sponsoren und Ausstellern ein klares Zeichen für die zunehmende Anerkennung und Annahme von OSGeo-Software.
In dieselbe Richtung zielt auch das B2B-Meeting. Eine weitere Neuerung, um die Bedeutung der FOSS4G für die Wirtschaft deutlich zu machen und Unternehmen eine internationale Netzwerk-Plattform zu bieten. Firmen präsentieren sich und ihre Arbeit und knüpfen Kontakte. Auch hier bestimmt die Konzentration auf das Wesentliche den Rahmen. Dazu Adams: „Uns war klar: Wenn wir vorne einen Beamer hinstellen und den Firmenchefs sagen: ‚Ihr habt jeweils fünf Minuten Zeit, um Euch zu vorzustellen‘, dann funktioniert das nicht, weil es ausufert.“
Also verordnete man dem Meeting die aus Japan stammende Vortragstechnik Pecha Kucha: Jeder Referent muss exakt 20 Folien verwenden, die jeweils 20 Sekunden gezeigt werden. Danach ist sein Vortrag beendet. „Das zwingt geradezu dazu, etwas Cooles zu machen“, so Adams. Dementsprechend kurzweilig geriet die Veranstaltung, die rund 50 Teilnehmer waren begeistert.
Eine weitere Raffinesse: In Isabell Chumi gewann er eine fachfremde Moderatorin für das Meeting. Die Key Account Managerin aus dem Pharmabereich war inhaltlich quasi außen vor, hatte dafür aber die Zügel für den Ablauf fest im Griff.
Bis dato bestand die FOSS4G aus Workshops, der Konferenz und am Samstag einen Tag lang Code Sprint. „Wir haben uns gesagt: Die Teilnehmer sind sowieso hier, einige werden sicherlich ein paar Tage vorher kommen, einige machen auch Workshops. Lasst uns alles so organisieren, dass alle vorher und hinterher drei Tage kommen können“, erklärt Adams das Konzept der Bonner Woche.
Also wurde der Code Sprint erstmals geteilt: Mit drei Tagen vor und zwei danach umrahmt er die Konferenz. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor, dass auch diese Rechnung aufgeht, ist erneut die Location: das Base Camp. Ein In- und Outdoor Retro-Park mit ausrangierten Wohnwagen und Zugschlafwagen, nur wenige Gehminuten vom WCCB entfernt. Sein eigentümliches Flair aus Nostalgie und Verschrobenheit verströmt ein Gefühl von Zeitlosigkeit. Ideal für kreatives Denken – und damit für die Code Sprints, bei dem Entwickler und User gemeinsam Software optimieren und die Dokumentation auf den neuesten Stand bringen.
Vielen dient das Base Camp tagelang als Lebens- und Arbeitsraum in einem. Morgens steigt man aus seinem Wohnwagen, klappt den Laptop auf und los geht’s. Rund 100 Teilnehmer wohnen und arbeiten in den Spitzenzeiten im Base Camp. Auch der Icebreaker, die traditionelle Party zum Kennenlernen, steigt hier und zieht 400 Besucher an.
Insgesamt bietet die FOSS4G 2016 eine gigantische Fülle von Angeboten, aus denen sich jeder sein eigenes Programm, seinen persönlichen Kongress zusammenstellen kann. Das Programmangebot ist das eine. Dass aus dem Kongress ein echtes Erlebnis wird, dafür sorgen neben den außergewöhnlichen Locations auch die Social Events.
Am Donnerstag geht es nach der Konferenz überraschend durch den Hinterausgang des Plenarsaals hinaus. An den Rhein und zum nahen Bootsanleger, wo die imposante MS Rheinenergie wartet. Eine Schifffahrt ruft, bei strahlendem Sonnenschein und 35 Grad. Herrliche Aussichten.
„Schon am Anleger hast Du so viele lächelnde, glückliche Menschen gesehen, dass du wirklich das Gefühl hattest: Die haben gerade eine tolle Zeit“, beschreibt Adams seine Eindrücke. Mit einem Lächeln begrüßt er jeden einzelnen der mehreren hundert Gäste. Dann geht die Fahrt los – bei schönstem Wetter auf dem Oberdeck, mit Live-Musik – vor allem die Queen-Coverband „The Queen Kings“ begeistert – und anschließender Party. So wundert es nicht, wenn am nächsten Morgen der Referent mit heiserer Stimme spricht, weil er zu viele Queen-Songs mitgesungen hat.
Ein weiteres Highlight: das Pub-Race in der Bonner Altstadt an jedem Abend der Veranstaltungswoche. Fünf Kneipen wurden im Vorfeld zu offiziellen FOSS4G Pubs gekürt. Nun sind sie regelmäßig Treffpunkte für hunderte Gleichgesinnte. Bei einem Bier lassen sich die Eindrücke des Tages und neue Open-Source-Ideen auf andere Art und Weise erörtern. Bei der Abschlussveranstaltung erntet Martin Arimond zu Recht einen Sonderapplaus für die Organisation der Social Events.
Was bleibt von der FOSS4G 2016? Neben viel Arbeit und viel Spaß vor allem: OS-Software funktioniert, weil Menschen auf der ganzen Welt an der Software arbeiten. Die Basis hierfür bietet das Internet. Umso wichtiger ist es, dass man sich von Zeit zu Zeit trifft und austauscht. In Bonn wurde dies vor allem beim Code Sprint deutlich.
„Wie ich aus vielen Rückmeldungen nach dem Kongress weiß, haben wir die Messlatte für künftige FOSS4Gs sehr hoch gelegt“, blickt Adams mit einem Augenzwinkern zurück. Besonders dankbar ist er dem örtlichen Organisationsteam, dessen Mitglieder er am liebsten einzeln nennen würde. Stellvertretend spricht er von Praktikantin Charlotte Eberz: „Wir suchten jemanden zur Unterstützung für so eine gewaltige Aufgabe und wussten zugleich, dass wir uns höchstens jemanden leisten können, der darin keine Erfahrung hat. Und wir hatten eine Idealvorstellung von dieser Person. Mit Charlotte haben wir jemanden gefunden, der dieses Wunschbild noch übertroffen hat und dazu ein außergewöhnlicher Mensch ist.“
Neben den zahllosen persönlichen Eindrücken von Teilnehmern und Organisatoren bleibt der Blick nach vorn. Denn die Perspektiven für OS Geo-Lösungen sind enorm, wie die vielen Themenbeiträge gezeigt haben. Die Videos der Vorträge wurden inzwischen in die Technische Informationsbibliothek (TIB) des Leibniz-Informationszentrum Technik und Wissenschaften aufgenommen. Diese weltweit größte Fachbibliothek in ihren Bereichen ermöglicht eine gezielte Online-Recherche und macht die Konferenzbeiträge zitierfähig.
Trotzdem führt Geodaten-Software oftmals noch ein Nieschendasein, wenngleich sich inzwischen auch immer mehr öffentliche Verwaltungen für Open Source interessieren. Umso wichtiger wird es sein, „Building Bridges“ als strategisches Instrument der Community zu beherzigen. Am besten schon bis zur FOSS4G 2017 in Boston (USA) oder 2018 in Dar Es Salam (Tansania).